EIN HAND WÄSCH DIE ANDERE

ABONE OL
18:44 - 01/10/2020 18:44
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BEĞENDİM

ABONE OL
Kaplan
Best

 EIN HAND WÄSCH DIE ANDERE               

Der Tod des 15-jährigen Berkin Elvan führte in jüngster Vergangenheit zu Massenprotesten in der Türkei, an denen Hunderttausende teilgenommen haben. Berkin befand sich neun Monate lang im Koma, nachdem er von einem Tränengasgeschoss der Polizei am Kopf getroffen worden war. Die Demonstrationen zeigen vor allem eins: die Wut gegen die öffentlich gewordenen Korruptionsskandale, an denen Ministerpräsident Recep Erdoğan und vier seiner Minister und ihre Söhne offensichtlich beteiligt sind. Dabei soll es um über 100 Milliarden Euro gehen. Das entspricht mehr als den gesamten Exporteinnahmen der Türkei im vorigen Jahr.
Die Oppositionsparteien und der Großteil der Bevölkerung verlangen eine reibungslose Aufklärung durch die Gerichte. Das scheint die Regierung mit aller Macht verhindern zu wollen: Hunderte zuständige Staatsanwälte, Richter und mehr als 5500 Ermittlungsbeamte und Polizisten wurden des Amtes enthoben oder versetzt. Die neu eingesetzten Staatsanwälte ließen Presseberichten zufolge Beweise vernichten.
Im Haus von Erdoğans Sohn Bilal sollen sich laut einem abgehörten Telefongespräch zwischen beiden Männern mehr als eine Milliarde US-Dollar befunden haben. Der Ministerpräsident habe seinen Sohn aufgefordert, das Geld verschwinden zu lassen, heißt es. Während Erdoğan die Vorwürfe abstreitet und das Telefonat als Montage abtut, beharrt Oppositionsführer Kemal Kiliçdaroğlu auf Echtheit. Oppositionspolitiker fordern seit langem, die Gespräche überprüfen zu lassen – bisher vergeblich.
Erdoğan befindet sich in der bisher schwierigsten Lage seiner elfjährigen Amtszeit. Viele seiner Behauptungen über die Skandale haben sich als falsch erwiesen. So wurde seine Glaubwürdigkeit schwer erschüttert. In dieser Lage versucht Erdoğan sich dadurch zu retten, Justiz und Presse unter die Kontrolle der Regierung zu bringen. Mit neuen Gesetzen und Verordnungen hält er sich die Möglichkeit offen, Internetplattformen wie »YouTube« und »Facebook« gegebenenfalls zu verbieten. In einem weiteren abgehörten Telefonat fordert Erdoğan den ehemaligen Justizminister Sadullah Ergin dazu auf, einen Freispruch von Aydin Doğan zu verhindern. Doğan ist Inhaber eines Medienunternehmens, das kritisch über die türkische Regierung berichtet hat. Ihm wird vorgeworfen, Steuern nicht rechtmäßig gezahlt zu haben. Erdoğan hat erstaunlicherweise die Echtheit dieses Telefonats bestätigt. Was denn dabei sei, wenn er den Minister auffordert, »sich um diesen Prozess zu kümmern«, fragt der Politiker. Das zeigt, was der ehemalige Istanbuler Oberbürgermeister von der Unabhängigkeit der Justiz in seinem Land hält. Nämlich gar nichts.
Bekannt wurde außerdem, dass Erdoğan seinen Vertrauten, den Verkehrsminister Binali Yıldırım, vor rund sechs Jahren beauftragte, von vermögenden Geschäftsleuten Geld zu besorgen, um die Zeitung »Sabah« und den Fernsehkanal »atv« zu kaufen. Tatsächlich wurden 630 Millionen US-Dollar von mehreren Bauunternehmen bereitgestellt. »Sabah« und »atv« stehen seit der Übernahme treu an der Seite der Regierung. Den großzügigen »Spendern« sollen im Gegenzug bei staatlichen Ausschreibungen Aufträge im Wert von rund 44 Milliarden Dollar angeboten worden sein. Eine Hand wäscht eben die andere.
Durch massiven Druck der Regierung auf die Presse wurden in den vergangenen Jahren außerdem hunderte kritische Journalisten entlassen. Manche von ihnen sind heute in neugegründeten Zeitungen und Fernsehanstalten tätig.
Den Skandalen begegnet Erdoğan mit der Behauptung, sie seien »eine Verschwörung gegen seine Regierung, gegen das Land und gegen ihn selbst«, vor allem unter Beteiligung ausländischer Kräfte. Die gut organisierten Massenveranstaltungen zu den Kommunalwahlen am 30. März, die von zahlreichen Fernsehanstalten live und in mehreren Wiederholungen übertragen werden, kommen bei einem Drittel der Bevölkerung weiter gut an. Der Rest scheint ihm nicht wohlgesonnen zu sein. Es steht deshalb zu vermuten, dass Erdoğan bei den Wahlen im Vergleich zu vorangegangenen Abstimmungen an Stimmen verlieren wird – vorausgesetzt der Urnengang findet korrekt statt. Laut neuer Umfragen glauben rund 70 Prozent der Befragten, dass die Regierung käuflich ist. Knapp so viele sind auch der Meinung, dass die Regierung Einfluss auf die Justiz ausübt.

Inal

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