AUFHEBUNG DES KOPFTUCH- VERBOTES

ABONE OL
11:54 - 23/10/2020 11:54
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BEĞENDİM

ABONE OL
Kaplan
Best

Aufhebung des Hosenverbots für weibliche Abgeordnete in der Türkei: oder die Dichotomie der vermännlichten Gesellschaft

Der erste Teil der oben genannten Überschrift ist aus dem Artikel von Boris Kalnoky vom 7.Oktober 2011 in Welt Online übernommen1. Alles in allem ist dieser Artikel nicht nur irreführend, sondern vielmehr desinformativ, verletzend, beschämend und verdient daher die Auszeichnung ”Schundartikel.” Die Art und Weise wie der Nahost-Korrespondent der “Welt” in Istanbul über die Debatte im Türkischen Parlament in Sachen Kleiderordnung berichtet, weist Formen und Inhalte auf, die der journalistischen Ethik (siehe Resolution 1003 von 1993 des Europäischen Parlaments) klar widersprechen. Im speziellen Fall wurden türkische Frauen, auch wenn es satirisch gemeint ist, allesamt zu ”Huren” deklariert.

Das türkische Parlament hatte im August dieses Jahres vorgeschlagen eine interne Regel zur Kleiderordnung aufzuheben, wonach weibliche Abgeordnete zukünftig auch Hosen tragen durften. Vorgeschobener Hintergrund des Vorstoßes des Parlamentspräsidenten war die gehbehinderte Abgeordnete der Republikanischen Volkspartei (CHP) Şafak Pavey, die in einem Rollstuhl und laut Kleiderordnung mit einem Rock an den Sitzungen teilnahm. Die eigentliche Absicht der AKP war es sicherlich nicht Şafak Pavey zu ermöglichen ”die Hosen anzuziehen”. Nein, vielmehr war es die Absicht mit diesem Streichzug gleich auch das Kopftuchverbot für Parlamentarierinnen abzuschaffen. Dass die AKP islamisch orientiert ist und dies auch in der Gesellschaft propagiert und diesbezüglich versucht eine stärker konservativ orientierte Gesellschaftsstruktur aufzubauen ist kein Geheimnis. Es passt auch gut ins Bild dass vielen ihren Anhängern nicht nur ”unbedeckte” Frauenbeine sondern auch ”unbedeckte” Frauen (ohne Kopftuch) ohnehin ein Dorn im Auge sind. Bei einigen konservativ eingestellten Männern in der türkischen Gesellschaft führen allein die Ansicht von ”leicht” bekleideten Frauen auf den Strassen, auf Reklameschildern und sicherlich auch ”nackte” Frauenbeine zu erotischen Erregungen. Nach langen und heftigen Debatten wurde der Vorstoß der AKP bezüglich der Kleiderordnung schließlich wieder zurückgenommen, als ein Parlamentarier einen Antrag stellte eben dieses Kopftuchverbot mit in die Liste aufzunehmen.

Sicherlich spielen im Politikgeschäft der Türkei Frauen eher eine dienende Rolle. Mann nutzt die Frau aus um Sie von Tür zu Tür zu schicken wenn Wahlkampf ist. Die Hürden für türkische Frauen ins Parlament zu kommen sind ungleich höher als Anderswo. Dies liegt sicherlich an der patriarchalischen Struktur des Parteiensystems in der Türkei, an der die Parteivorsitzenden der etablierten Parteien die absolute Macht haben und bestimmen dürfen wer ins Parlament gewählt werden kann und wer nicht. Aber trotz dieser starken Restriktionen, Hürden und Unwegsamkeiten hat es eine Frau (Tansu Ciller) in der Türkei schneller geschafft an die absolute Spitze der Macht zu kommen als in Deutschland (Angela Merkel); und bezeichnenderweise sind beide aus dem konservativen Lager.

Sicherlich ist der Anteil an Frauen mit 14% im jetzigen türkischen Parlament gering. Sie zeigt jedoch seit Einführung des Wahlrechts eine stetige Zunahme. Übrigens haben viele europäische Länder (Frankreich und Italien 1946, Schweiz 1972) ihren Frauen das Wahlrecht viel später gegeben als die Türkische Republik (1934). Der Frauenanteil im türkischen Parlament liegt übrigens nicht weit hinter denen der CDU/CSU Fraktion im Deutschen Bundestag mit etwa 20% (32% im Gesamtparlament). Oder nehmen wir die Schweiz als Beispiel, mit einemr Frauenanteil der stärksten politischen Fraktion (SVP) von unter 13% (25% im Gesamtparlament). Die Situation der türkischen Frauen ist zudem Vergleichbar zu anderen Europäischen Ländern wie Griechenland (13%), Irland (13%), Malta (9%) oder Rumänien (12%). Vergleicht man aber zum Beispiel den Frauenanteil der Professorinnen an türkischen Universitäten sind es 28%, an Deutschen Hochschulen liegt deren Anteil aber nur bei knappen 18%. Somit scheint zumindest die türkische Bildungselite viel progressiver zu sein die Bildungselite der Deutschen Bevölkerung.

Boris Kalnoky’s Absicht ist es nicht die Leser zu informieren oder eine Gesellschaftskritik auszuüben. Es scheint zumindest auch nicht seine Absicht zu sein den zu geringen Frauenanteil im türkischen Parlament zu kritisieren; nein vielmehr will er die türkischen Frauen diffamieren, wenn er sagt: ”im staatlichen Bordell arbeiten mehr Frauen als im Parlament”. Mit diesem Halbsatz identifiziert sich Herr Kalnoky genau mit denen, die er kritisieren will. Ein Funktionär der AKP in der Kleinstadt Ünye hatte nämlich einen ähnlichen Vergleich gezogen indem er sagte: ”Frauen ohne Kopftuch gleichen einer Wohnung ohne Gardinen: entweder sind sie zu mieten oder zu kaufen”. Wo ist der Unterschied in der Betrachtungsweise des Herrn Kalnoky zu denen von Herrn Demirci bezüglich türkischer Frauen? Wieso zieht Herr Kalnoky diese Parallele? Dieser Vergleich ist für mich wie für viele gemäßigten Stimmen in der Türkei nicht verständlich; ja es ist kränkend. Wir wollen hier nicht die gleiche Parallele ziehen und fragen daher nicht wie hoch der Frauenanteil z.B. in deutschen, schweizerischen, ungarischen, polnischen, russischen Bordellen ist. Dies wäre eine sexistische Betrachtungsweise und erniedrigend für die Frauen auf der ganzen Welt und wäre auch nicht ethisch vertretbar.

Für die Zukunft müssen wir sicherlich Allen in der Gesellschaft lebenden Menschen unabhängig von Ihrem Geschlecht, Ihrer Religion und Ihrer Herkunft ermöglichen am gesellschaftlichen Leben und an politischen Entscheidungen mitzuwirken und zu gestalten. Gesellschaftliche Partizipation, sowie gegenseitige Toleranz und Akzeptanz ohne geschlechtliche, religiöse und kulturelle Differenzierung sind die Schlüsselbegriffe mit denen wir in der Türkei als auch in Deutschland Zukunftsvisionen gestalten können. Die Journalisten haben dabei die Aufgabe kritisch auf Missstände hinzuweisen aber nicht unbedingt diffamierend zu sein, ja die Menschen nach Geschlecht, Religion oder Herkunft zu trennen.

Dr. Ali Sak

Inal

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